20. Februar 2021

„Individuelle Unterstützung ist gefragt“ – ein Kommentar von Jutta Sattler

Statement von Jutta Sattler, 2. Vorsitzende unseres Landesverbandes Contergangeschädigter Hessen e.V.

Die Conterganstiftung hat eine Umfrage an die Landesverbände der Contergangeschädigten geschickt mit der Frage nach der Qualität des Beratungsangebot der Conterganstiftung, auf die Jutta Sattler nicht nur geantwortet hat sondern einen kritischen Kommentar dazu verfasst hat. Dieser ist auch auf dem CIP zu lesen (https://www.contergan-infoportal.de/news/individuelle-unterstuetzung-ist-gefragt/). Viel Spaß beim lesen und vielen Dank Jutta fürs Verfassen !

 

Mein Name ist Jutta Sattler, ich wohne in Hessen und werde in diesem Jahr 60 Jahre alt. Ich habe Dipl. Sozialpädagogik studiert, eine Ausbildung zur systemischen Familientherapeutin gemacht und praktiziere zahnärztliche Hypnose. Seit vielen Jahren bin ich im hessischen Landesverband im Vorstand tätig, seit einigen Jahren als zweite Vorsitzende.

Meine langjährigen Erfahrungen mit der Conterganstiftung sind deshalb sowohl privater als auch verbandlicher Natur.

Aus Verbandssicht kann ich nur berichten, dass sich Mitglieder und Betroffene, die Fragen haben, eher an uns wenden. Sie wollen von uns nicht nur beraten, sondern auch bei ihren Problemen unterstützt und begleitet werden und zwar solange, bis das Problem zufriedenstellend für den/die Betroffenen/Betroffene gelöst ist. Privat geht es mir ebenso: bei Problemen und Schwierigkeiten frage ich bei meinen Vorstandskollegen und -kolleginnen nach, von denen ich in der Regel bei meinem Problem oder bei meinen Fragen erfolgreich unterstützt und begleitet werde.

Ich habe die Conterganstiftung bis jetzt so erlebt, dass es bei Themen, die für uns relevant sind, (zum Beispiel: Erwerben eines Ausweises für den Behindertenparkplatz) nur eine Grafik oder ein Merkblatt gab. Außer dass dieses Thema für viele von uns um Jahre zu spät kam, finde ich es nicht wirklich hilfreich, ein Papier in die Hand gedrückt zu bekommen, das mir sagt, welche Schritte unternommen werden sollten.

Bei anderen Themen (zum Beispiel: Unterstützung beim Neuerwerb eines Autos) scheint den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Conterganstiftung nicht immer klar zu sein, dass es in den verschiedenen Bundesländern auch unterschiedliche Regelungen dafür gibt. Hier erwarte ich, dass sich eine Conterganstiftung umfassend für alle Bundesländer informiert.

Jedes Mal, wenn wir die Conterganstiftung auf eine unserer Mitgliederversammlungen eingeladen hatten, haben wir eine neue Präsentation über die Arbeit der Conterganstiftung erhalten. Dies interessiert mich nicht, denn es hilft mir überhaupt nicht weiter, wenn ich ein echtes Problem habe. Wir benötigen keine Informationen über die Struktur der Conterganstiftung und wie sie helfen, sondern dass sie helfen.

Der Bedarf an Beratung ist bei unseren Mitgliedern extrem individuell und ich habe nicht den Eindruck, dass dem Rechnung getragen wird. Es gibt keine einfachen Lösungen für die Vielfalt unserer Fragen und Probleme. Hier ist individuelle Unterstützung gefragt.

Dass es das CIP gibt, finde ich sehr wichtig und gut. Allerdings habe ich immer noch Probleme, viele Informationen, die es auf dieser Seite gibt, schnell und problemlos zu finden. Des Weiteren stößt mir sehr auf, dass es an manchen Punkten an der Aktualisierung der Homepage mangelt. So wurde zum Beispiel die aktualisierte Lebensbescheinigung für die besondere Situation durch Corona 2020 nicht online gestellt, was ich nicht verstehen kann. Außerdem ist es extrem schwierig, selbst das alte Formular zu finden. Auch fände ich den Hinweis extrem wichtig, dass die Lebensbescheinigungen – egal in welcher Ausführung – immer bis Ende Januar eines ungraden Jahres abgegeben werden müssen.

Auch würde ich mir wünschen, dass in der heutigen Zeit nicht mehr so viel mit der Briefpost verschickt wird. Die Stiftung könnte abfragen, wer dies ausdrücklich wünscht und ansonsten sämtliche Informationen per E-Mail verschicken: so zum Beispiel auch, dass es einen neuen Infobrief gibt. So finde ich es sehr gut, dass man mittlerweile per E-Mail informiert wird, dass es neue Informationen auf der Homepage gibt. Allerdings haben meiner Meinung nach die positiven Rückmeldungen einiger Menschen mit Conterganschädigung nichts auf einer Homepage mit Informationen für uns Betroffene zu suchen. Würden sie auch negative Kritiken online stellen? Dies sehen einige Betroffene, mit denen ich am Wochenende gesprochen habe, ebenso.

Mir macht es Bauchschmerzen und ich bin entsetzt, wenn sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stiftung in Zukunft auch um unsere psychischen Belange kümmern sollen/wollen. Hier sollten nur Therapeuten und Therapeutinnen aus den unterschiedlichen Bereichen (Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Gestalttherapie, systemische Familientherapie – und dies sind nur einige Therapierichtungen) empfohlen werden und gegebenenfalls Hilfestellung beim Finden eines/einer geeigneten Therapeuten/Therapeutin gegeben werden.

Für mich sagt die Häufigkeit der Anfragen bei der Conterganstiftung nach dem Beratungsangebot nichts über die Qualität aus, sondern tatsächlich nur, wie oft die Conterganstiftung bezüglich der Beratung in Anspruch genommen wurde. Interessant wäre zu wissen, in wie vielen Fällen Sie tatsächlich auch helfen konnten. Leider sind die Grundstimmung und die Erfahrungen bei unseren Mitgliedern so, dass sie nicht darauf hoffen, Probleme bei Ihnen erfolgreich gelöst zu bekommen.

Auch finde ich es schade, dass die Conterganstiftung sich weigert, Post an andere Contergangeschädigte, die in Hessen leben, weiterzuleiten – angeblich aus Datenschutzgründen. Wir wollen keine Adressen. Wir wollen, dass Informationen, die für alle Betroffenen wichtig sind, weitergeleitet werden und wenn dies wirklich möglich sein wird, ohne Auswahl seitens der Conterganstiftung, was weitergeleitet wird und was nicht!

Mich interessiert auch nicht, welche neue Fortbildung die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Conterganstiftung gemacht haben, solange dies für mich keine konkreten positiven Folgen hat. Ich bin verwundert, dass hier kein größerer Austausch mit den Betroffenen stattfindet, denn mittlerweile sind wir contergangeschädigten Menschen selbst Fachleute für unsere Anliegen geworden.

Hilfreicher fände ich es, wenn Contergangeschädigte mit der entsprechenden Ausbildung in der Stiftung arbeiten würden, zum Beispiel Sozialarbeiter/Sozialarbeiterinnen oder ähnlich der schon existierenden Peer-to-Peer-Projekte.

Für die Zukunft wünsche ich mir von der Conterganstiftung, dass sie uns in den Jahren, die wir noch haben, verstärkt und auf Augenhöhe bei unserer gesundheitlichen Begleitung durch Kompetenzzentren mit genügend Fachärzten/Fachärztinnen und auch bei der Gefäßstudie unterstützen würden. Ebenso, dass alle gehörlosen und hörgeschädigten Betroffenen verstärkt unterstützt werden. Hier wäre es von Vorteil, wenn der/die ein oder andere Mitarbeiter/Mitarbeiterin die Gebärdensprache „sprechen“ könnte und eine entsprechende Ausbildung machen würde, so dass einiges an Organisation im Vorfeld für ein Gespräch wegfällt und die Betroffenen deshalb weniger Hemmungen haben, sich mit ihren Anliegen an die Stiftung zu wenden.

Mein Wunsch wäre eine Stiftung, bei der ich das Gefühl haben kann, dass sie mir bei meinen Problemen wirklich hilft und nicht gegen (zum Beispiel Brasilien) mich arbeitet. Eine Stiftung, die den regelmäßigen Austausch mit uns sucht (in dieser besonderen Zeit mit ZOOM oder ähnlichem) und mit uns gemeinsam nicht per Fragebogen oder Infoblatt (wenn das schon sein muss, bitte mit größerer Schrift, da einige Betroffenen nicht mehr so gut sehen) an den für uns wichtigen und essenziellen Themen arbeitet.

Es ist ermüdend, immer wieder Gesprächsangebote zu machen, die scheinbar keine Resonanz finden. Ein Teil des Vorstandes war tatsächlich einmal zu Besuch in der Stiftung (am 12.02.2019), bei dem vereinbart wurde, dass zukünftig halbjährlich ein Austausch stattfinden sollte. Austausch findet von beiden Seiten statt und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Conterganstiftung scheinen kein Interesse daran zu haben. Waren das nur Lippenbekenntnisse?

Für Gespräche stehen ich und meine Vorstandskollegen und -kolleginnen jederzeit zur Verfügung.

Die Stiftung ist für uns da und nicht wir für die Stiftung!